Geburtstagsrede 8.1.2025

Heute gedenken wir Helmuth Hübener, der den Mut hatte, das Undenkbare zu
tun – in einer Zeit, in der Schweigen sicher war und Worte tödlich.

Ich danke euch, dass ihr euch heute alle Zeit für den 100. Geburtstag von Helmuth Hübener nehmt.
Dass sich so viele Menschen auf den teils weiten Weg hierher gemacht haben, erfüllt mich mit Dankbarkeit.


Helmuth Hübener ist ein wichtiger Teil unseres Alltags hier, wir alle unterschreiben zu Beginn eines Schuljahres die Selbstverpflichtung, Hilfe zu holen, den einfachsten Schritt zum Mutigsein, wir ehren jeden Monat Schüler*innen, die Zivilcourage gezeigt haben oder sich für unsere Schulgemeinschaft eingesetzt haben, wir veranstalten alle zwei Jahre den Helmuth Hübener Wettbewerb.

Aber auch für uns ist das Geburtstagsjahr besonders. Wir starten hier heute in eine Reihe von Erinnerungsveranstaltungen, die ihren feierlichen Abschluss auf der Preisverleihung zum 6. Helmuth Hübener Wettbewerb im Mai finden werden. Wie feiert man einen Geburtstag von einem Menschen, der jung ermordet worden ist? Mit einer Mischung von Nachdenklichkeit und Freude – mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

Die Musik, die Sie beim Ankommen gehört haben, ist Swing aus den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie stand bei der Hamburger Swing Jugend hoch im Kurs und wurde von den Nazis als entartete Musik verboten. Hunderte Jugendliche sind für das Hören dieser Musik vom Regime verfolgt worden, ins Wochenendgefängnis nach Bergedorf oder gleich ins KZ Fuhlsbüttel gesperrt worden. Viele waren gar nicht besonders politisch, sondern einfach nicht bereit, sich in der Haarlänge, der Kleidung oder dem Tanzstil der nationalsozialistischen Idee echter deutscher Jungens und Mädels anzugleichen und ihr Leben dem militärischen Drill zu widmen.

Helmuth Hübeners Rebellion ging weiter als dieser passive Widerstand, das harte Urteil gegen ihn mag aber auch damit zusammenhängen, dass es diese viel größere Zahl an Jugendlichen gab, die passiven Widerstand geleistet haben. Man wollte an ihm ein Exempel statuieren, das Abschreckungscharakter haben sollte. Denn Freiheit war kein Wert, sondern gehorsamer Dienst fürs Vaterland.

Helmuth Hübener wurde nicht verurteilt, weil er ausländische Musik gehört hat. Er hat ausländische Radiosender abgehört, um die Nachrichten der BBC mit deutschen Nachrichten zu vergleichen, er hat sich in Bibliotheken geografisches Wissen über angegriffene Länder besorgt, um, heute würde man sagen „Faktenchecks“ der Nazipropaganda zu erstellen. Er hat als 16-Jähriger innerhalb weniger Monate 60 Flugblätter erarbeitet und mit Freunden verteilt, um darüber aufzuklären, dass ein Sieg des 1000jährigen Reichs ausgeschlossen erscheint, wenn man auf Fakten wie Rohstoffzugänge, Bevölkerungsdichte etc. schaut. Er hat recherchiert und an Texten gefeilt, damit sich möglichst viele Deutsche weigern, weiter mitzumachen, bei einem Krieg, der nicht zu gewinnen sei. Helmuth Hübener hat versucht, mit Argumenten gegen die Propaganda zu wirken und mit seinen Freunden durch die Verbreitung dieser Argumente gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen.

Ich habe die Swing-Jugend als Einstieg nicht nur gewählt, weil zu einem Geburtstag Musik gehört und wir heute auch das Leben feiern sollten, sondern weil ich heute hier darüber sprechen will, was wir meines Erachtens aus dem Umgang mit Jugend unterm Hakenkreuz lernen sollten. Wir sollten als Erwachsene daraus lernen, weil wir hier jeden Tag mit Kindern und Jugendlichen umgehen.

Stephan Hermlin schrieb: „Es gibt Zeiten und Menschen, da Kinder nicht mehr Streiche aushecken, sondern es mit dem Staat aufnehmen.“ Helmuth Hübener zeigt uns, dass Mut kein Alter kennt – und dass die Schande eines Systems darin liegt, wenn Kinder zu Helden werden müssen.

Helmuths Geschichte fordert uns auch auf, unsere Verantwortung als Erwachsene heute zu hinterfragen. Wie oft hören wir Jugendlichen zu, wenn sie Kritik äußern? Wie oft ignorieren wir ihre Stimmen? Mut bedeutet nicht nur, gegen Unrecht aufzustehen. Es bedeutet auch, offen für Widerspruch zu sein – und den Raum zu schaffen, in dem Jugendliche diesen äußern können. Brechen wir Widerspruchgeist durch unsere Erziehung, oder fördern wir ihn?

Schule ist ein Machtsystem und kein Machtsystem ist davor gefeit, Macht zu missbrauchen. Was hilft, ist, Systemkritik aktiv zu fördern, zur Kritik einzuladen. Schule ist ein demokratisch legitimierter, aber in seiner Anlage undemokratischer Raum, weil wir auch heute Kindern und Jugendlichen unter dem Vorwand, sie seien nicht reif genug, weniger Mitsprache gewähren, als den Erwachsenen.

Mitsprache ist oft im Sinne einer reibungslosen Organisation stark begrenzt. Und als Leitung kann ich sagen, dass Mitsprache auch ganz schön nerven kann, sie kostet Zeit, sie kostet Offenheit, sie stört einen reibungslosen Ablauf.

Natürlich verprügeln wir als Lehrende keine Schülerinnen mehr und es gibt auch kein Wochenendgefängnis für Schülerinnen, die zu verbotener Musik tanzen oder den Dienst in der Hitlerjugend nicht ordentlich versehen. Aber es gibt Kritik, die sich Schüler nicht zu äußern trauen. Und solange das noch so ist, hat das System Schule seine demokratischen und antifaschistischen Hausaufgaben noch nicht gemacht.

Es ist nicht die Schuld der Schülerinnen, wenn sie nicht genug Mut haben, Missstände anzusprechen, sondern unsere Schuld, dass man Mut dafür braucht. Hier können wir auch im Gedenken an Helmuth Hübener besser werden.

Auch wir als Erwachsene können jeden Tag Mut üben, Mut üben, hinzuschauen, was wir angerichtet haben und Mut üben, Kindern und Jugendlichen zuzuhören, Mut üben, unsere Fehler oder unsere Überforderung zuzugestehen.


Helmuth Hübener hat gezeigt, dass Mut nicht bedeutet, keine Angst zu haben. Es bedeutet, trotz Angst das Richtige zu tun. Wir schulden ihm und allen, die Widerstand unter größter Gefahr geleistet haben, dass wir diese Lektion beherzigen. Dass wir eine Welt schaffen, in der Kritik nicht als Gefahr, sondern
als Chance gesehen wird.


Happy Birthday, Helmuth!